Ein Beitrag von Noé Balsiger (SCNAT), Stefanie Gubler (SCNAT), Alberto Muñoz-Torrero Manchado (Universität Genf), Markus Stoffel (Universität Genf)
19. Juni 2024

Seit den wegweisenden Arbeiten von André Chaix ab 1918, welcher diese Landschaftsform erstmals beschrieben hatte, stehen die Blockgletscher im Schweizerischen Nationalpark im Fokus der Forschung. Mit seinen Geländemessungen zu Oberflächenbewegungen hat der Genfer Naturwissenschaftler die ersten Blockgletscher weltweit dokumentiert. Aktuelle Forschungsarbeiten zeigen nun nicht nur die Veränderungen dieser Permafrostkörper im Laufe der letzten 100 Jahre auf, sondern auch deren «Ableben» infolge des fortschreitenden Klimawandels.

Titelbild: Blockgletscher Val Sassa mit Wanderweg 03 Fuorcla Val Sassa

Von Pionierforschung …
Die Blockgletscher des Schweizerischen Nationalparks (SNP) waren weltweit die ersten, an denen Bewegungsmessungen im Gelände durchgeführt wurden – und zwar bereits im Jahr 1918. Die Pionierarbeit an den vier Blockgletschern Val Sassa, Val da l’Acqua, Valletta und Tantermozza im SNP (vgl. Karte) war mitunter der Grund, dass die Blockgletscher des Unterengadins gut 100 Jahre später durch die UNESCO in die Liste der «ersten 100 geologischen Kulturerbestätten» der International Union of Geological Sciences (IUGS) aufgenommen wurden. Die ersten Arbeiten des Naturforschers und Geologen André Chaix und seines Vaters Emile Chaix, selbst Professor für Geografie, im Jahr 1918 waren wegweisend für die Permafrostforschung weltweit. Zwei Jahrzehnte später wiederholte André Chaix die Messungen in der Val Sassa und Val da l’Acqua  – danach wurden die Blockgletscher über längere nicht mehr vermessen.

Zeitachse Überblick Blockgletschervermessung über die ZeitAbb.1: Blockgletschervermessung im Schweizerischen Nationalpark im Laufe der Zeit

… über Lückenfüllung …
Seit 2006 sind die Blockgletscher im SNP wieder Gegenstand systematischer Untersuchungen, heute jedoch mithilfe satellitengestützter Messungen. Zwischen den beiden Zeitreihen bestand bisher eine Messlücke von rund 60 Jahren. Alberto Muñoz-Torrero Manchado von der Universität Genf hat diese Lücke nun im Rahmen seiner Doktorarbeit mittels photogrammetrischer Analysen von alten Luftbildern gefüllt. Damit konnte er zeigen, dass die vier Blockgletscher im SNP in verschiedenen Stadien des «Ablebens» stecken: durch das langsame Abschmelzen des Eises verlieren sie an Volumen und ihre Bewegung wird generell langsamer.

… zu neuen Erkenntnissen
Die Geschwindigkeit der Blockgletscher hat sich im Laufe der Zeit verändert. In der Mitte des 20. Jahrhunderts finden die Forschenden für die Val Sassa, Val Tantermozza und die Val da l’Acqua eine Beschleunigung des talwärtigen Fliessens der Blockgletscher, bevor am Ende der 1980er Jahre wieder eine starke Verlangsamung registriert wurde. Nach einer kurzen «Erholung» mit leicht höheren Bewegungsraten fliessen die Blockgletscher seit Beginn des 21. Jahrhunderts aber immer langsamer talwärts. Diese Verlangsamung geht einher mit einem deutlichen Verlust an Volumen, hervorgerufen durch das verstärkte Abschmelzen des Eises im Inneren der Blockgletscher.

Hier werden die Bewegungen in einer Animation sichtbar:

Ein komplexes Zusammenspiel der Natur
Aufgrund des klimawandelbedingten Temperaturanstiegs von um die 2° C in den Alpen im letzten Jahrhundert erwärmt sich auch der alpine Permafrost. Dies wird an der Verlangsamung und dem Volumenverlust der vier Blockgletscher im SNP eindrücklich sichtbar. Mit den neuen Analysen der Universität Genf können nun auch weitere Prozesse untersucht werden, die den Permafrostkörper und dessen Bewegung beeinflussen. So spielt sowohl die Schneedecke, deren Dicke und der Ausaperungszeitpunkt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Temperaturen im Untergrund. Zudem übt das schuttbedeckte, verbleibende Eis in den obersten Bereichen der Talkessel, teilweise von früheren Gletschern stammend, sowie deren Schmelzwasser einen bedeutenden Einfluss auf die Fliessgeschwindigkeit der Blockgletscher aus.

Die Forschenden aus Genf zeigen, dass sich ein Blockgletscher auch räumlich nicht homogen bewegen muss: so weist der Blockgletscher in der Val Sassa eine Front auf, die sich langsamer bewegt als dessen Wurzelzone weiter oben. Und dazwischen befindet sich sogar ein Teil, der seit Jahren stillsteht.

Literatur:

  • Muñoz-Torrero Manchado, A., Allen, S., Cicoira, A., Wiesmann, S., Haller, R., Stoffel, M. (2024): 100 years of monitoring in the Swiss National Park reveals overall decreasing rock glacier velocities. Commun Earth Environ 5, 138. https://doi.org/10.1038/s43247-024-01302-0
  • Zur Frage, was Blockgletscher überhaupt sind, gibt es hier eine Kurzinfo.
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