Biodiversität steht für die «biologische Vielfalt», allgemein ausgedrückt für die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten. Der Erhalt der Biodiversität ist für das Funktionieren der Ökosysteme und letztlich für das Bestehen unserer Welt zentral. Denn mit der biologischen Vielfalt sind zahlreiche Leistungen verbunden, die gerade für uns Menschen essentiell sind.
Was ist Biodiversität?
Biodiversität oder biologische Vielfalt steht allgemein für die Variabilität oder Vielfalt unter lebenden Organismen. Der oft gehörte Begriff Artenvielfalt beschreibt nur einen Teil der Biodiversität. Genau genommen gibt es vier Ebenen von Biodiversität. Klicken Sie auf einen der untenstehenden Begriffe und erfahren Sie mehr dazu.
Die Artenvielfalt beschreibt, wie viele unterschiedliche Lebewesen, sogenannte Arten, es gibt. Unterschieden resp. eingeteilt werden die Arten anhand der Fortpflanzung und der Genetik. Das heisst, Arten lassen sich einerseits aufgrund ihrer genetischen Merkmale voneinander unterscheiden (z.B. Rothirsch, Alpensteinbock, Gämse). Andererseits müssen Individuen einer Art, falls sich diese geschlechtlich fortpflanzt, fruchtbare Nachkommen erzeugen können. Kreuzt sich ein Pferdehengst mit einer Eselstute, entsteht ein Maulesel. Dieser ist nicht fortpflanzungsfähig. Deshalb handelt es sich hier nicht um eine neue Art, sondern um einen Hybriden.
Weltweit sind den Wissenschaftlern heute ca. 1,7 Mio. Arten bekannt. Sie nehmen allerdings an, dass es insgesamt 10 bis 14 Mio. verschiedene Arten gibt. In der Schweiz sind bisher rund 30’000 Tierarten und 19’000 Pflanzenarten bekannt.
Lebensräume, in denen viele verschiedene Arten vorkommen, gelten als besonders wertvoll. Solche Biodiversitäts-Hotspots sind beispielsweise tropische Regenwälder aber auch Gebirgsregionen mit ihren zahlreichen hochspezialisierten Lebewesen und ihrer Vielzahl an unterschiedlichen Lebensräumen (vgl. ökologische Vielfalt).
Jedes Lebewesen – so auch der Mensch – hat eine eigene Erbsubstanz, d.h. leicht unterschiedliche Gene. Dadurch unterscheidet sich jedes Individuum einer Art von seinen Artgenossen. Deshalb gibt es gross gewachsene braunhaarige aber auch kleine Menschen mit blonden Haaren. Genau diese Vielfalt ist es, welche der Pflanzen- und Tierwelt hilft, sich immer wieder an die sich verändernde Umwelt anzupassen. Die Alpensteinböcke beispielsweise stammen alle ursprünglich von derselben Steinbockkolonie in Nordtalien ab. Ihre genetische Vielfalt ist dementsprechend relativ gering. Forschende beobachten die Steinböcke deshalb genau, um herauszufinden, wie anfällig sie auf Krankheiten sind und ob sie Mühe mit der Anpassung an den Klimawandel haben.
Die Schweiz ist reich an Lebensräumen – was sich bereits aufgrund der Vielseitigkeit der Landschaften erahnen lässt. Zu diesem Reichtum gehören auch die alpinen Lebensräume (hochalpine Rasen, Gletschervorfelder, Feuchtgebiete, verschiedene Waldtypen usw.). Auch Städte sind Lebensräume. Ein Haussperling findet in einem Strassenkaffee viel einfacher Nahrung als in einer Geröllhalde in den Bergen. Je vielseitiger die Landschaft ist, also je mehr verschiedene Lebensräume vorkommen, desto mehr unterschiedliche Arten können diese besiedeln. Je besser diese Lebensräume vernetzt sind, desto vielfältiger werden die Beziehungsnetze zwischen verschiedenen Arten und Ökosystemen.
Tiere und Pflanzen in den verschiedenen Lebensräumen stehen in Kontakt miteinander und unterhalten wechselseitige Beziehungen. Insekten bestäuben Blütenpflanzen, deren Früchte wiederum dienen anderen Tieren als Nahrungsgrundlage. Diese wiederum verbreiten den Samen der Frucht, und das möglicherweise auch in andere Lebensräume. Die sogenannte Funktionale Biodiversität beschreibt diese Vielfalt der Beziehungsnetze innerhalb und zwischen den drei bisher genannten Ebenen. Aus solchen Beziehungsnetzen heraus ergeben sich wichtige Funktionen für das Leben auf dieser Erde.
Das Ökosystem Wald beispielsweise übernimmt die Funktion einer Wasserreinigungsanlage: Regenwasser versickert im Boden und wird dabei gereinigt. Es entsteht sauberes Wasser, das auch uns Menschen zugute kommt. Ein anderes Beispiel: Winzige Bodenorganismen helfen den Pflanzen Nährstoffe aufzunehmen, was wiederum für die Fruchtbarkeit des Bodens und für den Anbau von Nahrungsmitteln von zentraler Bedeutung ist.
Die zunehmende Nutzung der Landschaft durch den Menschen verändert die Lebensräume entscheidend und beeinflusst damit alle verschiedenen Ebenen der Biodiversität.
Der Wert von Biodiversität
Die Vielfalt des Lebens hat einen Wert an sich, unabhängig vom Menschen. Die zahlreichen Arten sind das natürliche Erbe dieser Erde, welches die heutige Generation den künftigen Generationen überlässt. Die Biodiversität ist aber auch die Grundlage für das menschliche Wohlergehen. Der Mensch ist in vielerlei Hinsicht abhängig von der biologischen Vielfalt resp. vom Funktionieren der Ökosysteme. Deshalb ist ihr Erhalt im vitalen Interesse von uns allen.
Der Erhalt der Biodiversität ist für das Funktionieren der Ökosysteme und letztlich für das Bestehen unserer Welt zentral. Denn mit der biologischen Vielfalt sind zahlreiche Leistungen verbunden, die gerade für uns Menschen unverzichtbar sind: So beziehen wir einen grossen Teil unserer Nahrung und unseres Trinkwassers aus der Natur, nutzen nachwachsende Rohstoffe wie Holz oder Baumwolle für unseren Alltag oder geniessen die vielfältige Landschaft zur Erholung.
Biodiversität bringt auch einen hohen wirtschaftlichen Nutzen – man spricht dabei von sogenannten Ökosystemleistungen. Dies sind wirtschaftlich messbare Leistungen, welche ein Ökosystem dank der Biodiversität erbringt. Vielseitige Landschaften ziehen beispielsweise Touristen an, welche wiederum zur Wertschöpfung einer Region beitragen. Der Ertrag der landwirtschaftlichen Produktion ist unter anderem von fruchtbarem Boden abhängig. Viele Medikamente basieren auf pflanzlichen Wirkstoffen – die Forschung entdeckt immer wieder neue Medizinalpflanzen.
Je vielfältiger die Pflanzen- und Tierwelt, desto robuster ist unser Ökosystem. Das heisst, desto besser kann es sich an Veränderungen wie den Klimawandel anpassen. Man spricht dabei von sogenannter Resilienz. Bäume beispielsweise können die Länge ihrer Wurzeln bei zunehmender Trockenheit verändern, hitzeempfindliche Pflanzen die Höhenlage ihres Lebensraums.
Der Verlust an Biodiversität trifft insbesondere die Menschen in den Entwicklungsländern, weil diese oft auf die eigenen, aus der Natur gewonnenen Erzeugnisse (z.B. Nahrung oder Holz) angewiesen sind. Biodiversitätsverluste sind deshalb häufig mit Armut verknüpft.
Spätestens seit dem Abschluss der Konvention zur biologischen Vielfalt 1992 in Rio de Janeiro, ist die Biodiversität auch zu einem Politikum geworden. Mittlerweile haben 190 Staaten und die Europäischen Union das Abkommen ratifiziert. Auch die Schweiz gehört dazu.
Der Verlust an Biodiversität stellt eine weltweite Bedrohung dar. Jeden Tag sterben bis zu 130 Tier- und Pflanzenarten aus und weltweit sind ca. 30 Prozent aller Arten bedroht. Auch in der Schweiz ist fast die Hälfte der Lebensräume am Verschwinden. Der Anteil bedrohter Arten ist in keinem anderen Land so gross wie bei uns.
Verursacher des weltweiten Artensterbens sind wir Menschen – hauptsächlich durch die Zerstörung von Lebensräumen. Wir bedrohen die Arten durch die Intensivierung der Landwirtschaft und den hohen Einsatz von Pestiziden, die industrielle Fischerei, die Rodung von Urwäldern, die Zerstückelung von Lebensräumen sowie die Bodenversiegelung durch Strassen- oder Siedlungsbau. Auch die Ausbreitung invasiver, konkurrenzstarker Arten und der Klimawandel führen zum Verlust an Biodiversität.
Nationalpark und Biodiversität
Der Erhalt der Natur und die Beobachtung der Naturentwicklung sind zentrale Aufgaben des Schweizerischen Nationalparks (SNP). Gemäss Artikel 1 des Nationalparkgesetzes:
Der Schweizerische Nationalpark (…) ist ein Reservat, in dem die Natur vor allen menschlichen Eingriffen geschützt und namentlich die gesamte Tier- und Pflanzenwelt ihrer natürlichen Entwicklung überlassen wird. (…)
Die Biodiversität kann sich hier seit über 100 Jahren frei entwickeln und wird beobachtet. Die bisherigen Erkenntnisse kurz zusammengefasst:
Der Nationalpark liegt zu einem erheblichen Teil in einer Hochgebirgsregion. Da die Artenvielfalt mit zunehmender Höhe grundsätzlich abnimmt, weist er bei den Artenzahlen auch keine Höchstwerte aus. Auch wenn sich gerade im Gebirge verschiedene, an das raue Klima angepasste Spezialisten ansiedeln, so sind dies insgesamt vergleichsweise wenige Arten. Gerade bei der Anzahl Nadelbaumarten ist die Vielfalt im Nationalpark mit 5 Arten relativ gering.
Ganz anders sieht es jedoch bei der Vielfalt an Tagfaltern aus: hier sind im Nationalpark 108 Arten nachgewiesen worden. Dies entspricht mehr als der Hälfte aller in der Schweiz vorkommenden Arten (schweizweit 201 Arten) und rund einem Viertel der in Europa bekannten Arten (441 Arten). Die Artenzahl ist in der Val Trupchun am höchsten. Unter den Tagfaltern des Nationalpark befinden sich auch einige sehr seltene Spezies. Der Alpen-Mohrenfalter Erebia Styx kommt nur in einem beschränkten Gebiet am Ofenpass und im Südtessin vor. Der Nationalpark übernimmt hier eine besondere Verantwortung für dessen Erhaltung.
Betrachtet man die Vielfalt der Lebensräume vom Tal bis zu den höchsten Gipfeln und deren natürliche Beziehungsnetze, ist die Natur im Nationalpark enorm vielfältig.
Zusätzlich trägt der hohe Schutzstatus zu einer einmaligen Entwicklung der Ökosystemvielfalt bei. Wer durch die Wälder des Nationalparks streift, bemerkt beispielsweise die vielen toten Bäume, die teilweise am Boden liegen, oft aber auch noch jahrzehntelang aufrecht stehen. Dieses Totholz und die vielseitigen Strukturen der Wälder fördern die Biodiversität. Tote Bäume bieten Lebensraum für unzählige Arten. Der Buntspecht frisst die Insekten im Totholz und baut seine Höhlen darin. Spechthöhlen wiederum dienen anderen Vogelarten oder Kleinsäugern als Nistplatz oder Versteck. Unzählige Wirbellose, Pilze und Bakterien zersetzen das Holz und stehen damit am Anfang von vielen Nahrungsketten.
Weltweit weisen Bergregionen, die in Natur- und Kulturlandschaften gegliedert sind, eine hohe Biodiversität aus.
Im Nationalpark ist bis auf wenige Ausnahmen noch kaum Artenverlust spürbar – im Gegenteil. Es leben heute aufgrund des Klimawandels mehr wärmeliebende Tier- und Pflanzenarten im Nationalpark als noch vor 100 Jahren. Zudem sind heute zeitweise wieder Arten wie Bär, Wolf, Fischotter oder Bartgeier präsent, die in früheren Jahrhunderten ausgerottet wurden. Neobiota, die einheimische Arten konkurrenzieren, fehlen glücklicherweise bis anhin. Es ist jedoch erwiesen, dass der Klimawandel vor allem im Hochgebirge dazu führt, dass kälteliebende Pflanzen- und Tierarten zunehmend unter Lebensraumverlust leiden. Hochgebirgsarten wie der Alpenschneehase oder das Alpenschneehuhn können irgendwann nicht mehr in höhere Lagen ausweichen und sterben möglicherweise aus.