Ein Beitrag aus dem Pro Natura Magazin 3/2024

Bettina Epper, Pro Natura

Im Nationalpark überlassen wir seit über 100 Jahren die Natur sich selbst. Pflanzen ausreissen ist strengstens verboten, nur: Was tun gegen invasive Neophyten? Auf diese schwierige Frage gibt es jetzt eine Antwort.

Raphael von Büren schaut auf unserem kurzen Spaziergang durch Zernez (GR) ganz genau, was an den Strassenrändern und in den Pflasterritzen alles wächst. Auch wenn an diesem trüben Märztag noch nichts blüht, erkennt er invasive Neophyten auf den ersten Blick und freut sich, als er sieht, dass eine Goldrute, die er im Vorjahr entdeckt hatte, mittlerweile entfernt wurde.

Der Botaniker arbeitet in der Abteilung Forschung und Monitoring des Schweizerischen Nationalparks. Dort hat er die vergangenen zwei Jahre viel Zeit mit gesenktem Kopf verbracht – auf der Suche nach invasiven Pflanzenarten. Zum Glück erfolglos. «Im Jahr 2022 haben wir begonnen, ein Inventar aller bekannter Neobiota im Park zu erstellen», sagt von Büren. «Dabei haben wir zwar einige Neophyten gefunden, aber keine invasiven», sagt von Büren. Dieses erfreuliche Resultat dürfte wohl vor allem der Höhenlage des Parks zu verdanken sein sowie dem Umstand, dass es relativ wenige Einfallstore wie Strassen und fast keine direkte menschliche Störung gibt.

Aber die invasiven Pflanzen sind schon ganz in der Nähe. Wenige Hundert Meter ennet der Parkgrenze wächst etwa das Glatte Zackenschötchen, das wegen seines unangenehmen Geruchs auffällt. Die Art komme in der Umgebung in denselben Höhenlagen vor, in denen grosse Teile des Nationalparks liegen – im nahen Scuol zum Beispiel auf über 2300 Metern. «Im Umkreis von fünf Kilometern wachsen bereits zwölf weitere invasive Arten wie Lupinen oder Riesenbärenklau. Es dauert sicher nicht mehr lange, bis die ersten davon im Park auftauchen.»

Einen Schritt voraus

Ende 2023 wurde deshalb eine Strategie verabschiedet, die mit dem Grundsatz, dass alle Tiere und Pflanzen im Park sich selbst überlassen bleiben und keine menschlichen Eingriffe erlaubt sind, vereinbar ist: Kommen invasive Arten an Orten an, wo der Mensch die natürlichen Habitate stark gestört und so die Invasion direkt mitverursacht hat, werden sie entfernt. Deshalb werden künftig klar definierte Orte wie Strassenränder oder Baustellen regelmässig kontrolliert.

Erscheinen invasive Arten spontan und ohne menschliches Zutun, werden allfällige Funde erfasst und überwacht, aber nicht aktiv bekämpft. Nach einigen Jahren wird die Strategie evaluiert und allenfalls angepasst. «Noch sind wir den invasiven Neophyten einen Schritt voraus und können eventuell verhindern, dass der Mensch sie in den Park einbringt. Diese Chance sollten wir nutzen», sagt Raphael von Büren und beugt sich über die nächste Pflasterritze.

 

Pro Natura ist eine der beiden Gründungsorganisationen des Schweizerischen Nationalparks und unterstützt diesen seit über 100 Jahren auch finanziell. Ein besonderer Beitrag gilt dem Monitoring.

To top