Auf den alpinen Matten leben sowohl Pflanzen, die eher tiefere Lagen bevorzugen als auch arktisch-alpine Arten, denen das Hochgebirge zusagt. Im Detail entwickeln sich je nach Boden, Lokalklima, Exposition und Höhenlage sehr unterschiedliche Artengesellschaften. Diese dokumentieren einen momentanen Konkurrenzzustand zwischen den Arten. Die Zusammensetzung der Pflanzengesellschaften ist ein dynamischer Prozess, bei dem sich ein optimaler Gleichgewichtszustand zwischen Boden, Klima und Pflanzenwelt entwickeln kann.
Girlandenrasen
Diese auffälligen Bodenmuster entstehen durch Kriechbewegungen im Boden.
Im Frühjahr während der Schneeschmelze taut die oberste Bodenschicht auf und sättigt sich mit Schmelzwasser. Dieses kann schlecht versickern, weil der Unterboden noch gefroren ist. Während einigen Tagen kriecht der nasse Oberboden wenige Zentimeter talwärts. Sobald der ganze Boden aufgetaut ist, kann das Schmelzwasser besser abfliessen und die Bewegungen hören auf.
Im Gegensatz zu Kriechenden Böden (Erdströme) handelt es sich bei den Girlandenrasen nicht um ein Permafrost-Phänomen. Viel mehr entstehen sie durch wiederholtes Gefrieren und Auftauen.
Die Pflanzengürtel der Girlanden üben auf den Hang einen stabilisierenden Einfluss aus und verhindern dadurch Erosionserscheinungen. Einige Spezialisten unter den Pflanzen kommen mit den Bodenbewegungen gut zurecht. Die Gräser und Blütenpflanzen, die an der Stirn der Girlande wachsen, werden jedes Jahr von neuem nach unten gedrückt und überrollt. Erika, Polstersegge, Blaugras oder Silberwurz gelingt es, sich der Situation laufend anzupassen und damit zu überleben.
Die Grösse der Girlanden ist von der Hangneigung, der Bodenzusammensetzung und vom Wassergehalt abhängig. An sehr steilen Hängen werden die Girlanden gross und brechen im Extremfall an ihrem tiefsten Punkt auf.
Symbiose
Wurzeln und Pilze spannen zusammen.
Dank der Symbiose von Wurzeln und Pilzen (Mykorrhiza) erreichen Gebirgspflanzen eine bessere Stickstoffversorgung. Einerseits nimmt der Pilz durch sein Fadengeflecht vor allem Stickstoff auf und versorgt damit die Pflanze. Andererseits profitiert der Pilz vom Nährstoffkreislauf der Pflanze.
Weil im Gebirge wegen tieferen Temperaturen der Abbau von pflanzlichem Material langsamer verläuft als im Tiefland, verzögert sich auch die Nachlieferung von Nährstoffen im Boden. Mit Hilfe ihres umfangreicheren Wurzelwerks und der Symbiose mit Pilzen kann die Gebirgspflanze diesen Nachteil ausgleichen.
Berg-Föhren gehen mit über 20 verschiedenen Pilzen Symbiosen ein. Dieser Vielseitigkeit verdanken es Berg-Föhren, dass sie in unterschiedlichsten und sehr kargen Böden Fuss fassen können.
Vielfalt an Formen und Farben
Eine grosse Zahl von Pflanzen kommt mit den Lebensbedingungen auf der alpinen Stufe am besten zurecht.
Eine Wanderung über Margunet oder von Buffalora zum Munt la Schera führt uns diese Vielfalt eindrücklich vor Augen. Die beste Zeit für eine solche Wanderung ist Ende Juni/Anfang Juli. Die Blütezeit kann sich je nach Schnee- und Witterungssituation um 1 bis 3 Wochen verschieben.
Im Nationalpark finden wir die grösste Artenvielfalt im Bereich der Blaugrasrasen an warmen Hängen wie auf Margunet. Die zahlreichen kleinen Terrassen der Girlandenrasen tragen zur Blütezeit Anfang Juli einen üppigen Blumenschmuck. Pflanzen müssen auffallen, wenn sie von den Insekten gefunden werden möchten. Das ist aber nicht der einzige Grund, weshalb die Farben so intensiv sind. Es gibt auch Arten, die sich ohne Hilfe von Insekten fortpflanzen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Schutz gegen die ultraviolette Strahlung. Das intensive Blau des Clusius› Enzians Gentiana clusii stammt vom Stoff Anthocyan, der die Pflanze wie eine Sonnencrème vor der Strahlung schützt. Mit zunehmender Höhe ist die Strahlung intensiver und die Farbintensität der Pflanze nimmt zu.