Ein Beitrag von Fabienne Frey (SCNAT)
Seit der Eingliederung in den Schweizerischen Nationalpark ist die Seenplatte Macun vor menschlichen Eingriffen geschützt und dient als Freiluftlabor mit idealen Bedingungen. Ein neues Buch fasst 25 Jahre interdisziplinäre Forschung in diesem alpinen Ökosystem zusammen. Zur Vernissage in Lavin erschienen über 100 Interessierte, um Einblick in die sagenumwobene Geschichte und die wissenschaftliche Bedeutung der Seenplatte zu erhalten.
Glitzernde Bergseen, mächtige Blockgletscher und eine eindrückliche Weitsicht – auf über 2600 Metern liegt die Seenplatte Macun. Vor 25 Jahren wurde das Naturjuwel Teil des Schweizerischen Nationalparks (SNP). Seither wird es durch Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen, von Geologie über Ökologie bis hin zu Klimatologie, erforscht. Um die Erkenntnisse ihrer Arbeit zugänglich zu machen, haben Stefanie Gubler, Leiterin der Forschungskommission des Schweizerischen Nationalparks (FOK-SNP), und Christopher Robinson, pensionierter Senior Scientist der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag), das Buch «Alpine Ökosysteme im Schweizerischen Nationalpark – Die Seenplatte Macun» herausgegeben. Fast 50 Autor:innen haben dazu beigetragen.
Ruedi Haller, Direktor des SNP, begrüsste das zahlreich erschienene Publikum am 1. Oktober im Schulhaus Lavin zur Vernissage dieses Buches. Er führte die über 100 Gäste durch einen Vortragsabend voller wissenschaftlicher Entdeckungen und faszinierender Eindrücke.
Vom Nutzen zum Schützen und Forschen
Da Stefanie Gubler krankheitsbedingt ausfiel, sprang Hans Lozza kurzfristig ein. Der Leiter der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit des Nationalparks kennt Macun wie seine Westentasche und erzählte von einer Zeit, in der das Gebiet noch intensiv genutzt wurde. Landwirtschaft, Jagd und Fischerei prägten die Seenplatte ab den 1960er-Jahren. Selbst Pläne für eine Pumpspeicheranlage in den 1970er-Jahren standen im Raum – eine Idee, gegen die sich besonders die Frauen in der Region erfolgreich wehrten. Erst 1996 wurde die Weiche in Richtung Schutz gestellt: Auf Initiative von Heinrich Haller, dem damaligen Nationalparkdirektor, und dank der Unterstützung von Robert Giacometti, dem damaligen Gemeindepräsidenten, stimmte die Gemeinde Lavin am 27. Mai 1996 der Integration von Macun in den Nationalpark zu. Am 1. August 2000 besiegelte eine Bronzetafel die feierliche Aufnahme.
Eine einzigartige Bereicherung für die Forschung, betonte Hans Lozza. Auf Macun herrscht eine komplett andere Geologie als in den übrigen Teilen des Nationalparks vor: Uralte Silvretta-Gesteine dominieren das Gebiet. Eine weitere Besonderheit ist der Zwerghahnenfuss (Ranunculus pygmaeus), welcher auf Macun entdeckt wurde und hier in seiner grössten Population vorkommt. Auch die zahlreichen Blockgletscher sind ein beliebter Forschungsgegenstand. Langjährige Messungen zeigen auf, wie sich die Gesteinsmassen bewegen und auf Klimaveränderungen reagieren. Abseits der Wanderwege sammeln die Forschenden aber nur während einer Woche im Jahr Daten, um die Störungen auf das Ökosystem so gering wie möglich zu halten. Eine Klimastation ergänzt seit 2017 die Datenerhebung.


Abb. 1 (links/oben): Seen und Blockgletscher prägen Macun im Schweizerischen Nationalpark (© SNP, swisstopo).
Abb. 2 (rechts/unten): Der Zwerg-Hahnenfuss (Ranunculus pygmaeus) wurde auf der Seenplatte Macun entdeckt (© SNP/Sonja Wipf).
Einblicke in die Unterwasserwelt
Einer, der praktisch jedes Jahr bei der Forschungswoche auf Macun dabei war, ist Christopher Robinson. Er nahm das Publikum mit in die vielfältige Wasserwelt. In den Weihern, Bächen und Quellen auf Macun leben Kleinstlebewesen wie Zuckmücken oder einzellige Kieselalgen. Nicht nur Robinsons Faszination für die Winzlinge war spürbar, sondern auch seine Expertise. Aus der Artenzusammensetzung und dank Messungen der Wasserchemie kann er Rückschlüsse auf das Klima ziehen. Besonders ab 2010 zeigen die Daten Veränderungen, die mit steigenden Temperaturen zusammenhängen. Der Klimawandel wird somit selbst in dieser entlegenen Alpenlandschaft sichtbar.

Abb. 3: Mit einer Exosonde messen Forschende die Wasserparameter auf Macun (© Christian Ebi).
Fremde Anpassungskünstler
Ins Wasser blickten auch Peter Rey und Niklas Bosch von der Firma Hydra. Ihr Forschungsgegenstand gehört eigentlich gar nicht auf Macun. Mit dem Beginn der Fischerei in den 1960er Jahren wurden Bachforellen und amerikanische Seesaiblinge auf Macun ausgesetzt, um die Attraktivität der Seen zu steigern. Durch die Angler:innen kamen auch noch Elritzen als lebende Köderfische dazu. Für die Fische ist Macun ein wenig attraktiver Lebensraum – über einen grossen Teil des Jahres liegt Schnee und Eis auf der Seeoberfläche. Somit sind die Seen nährstoff- und sauerstoffarm und dunkel. Rey und Bosch haben herausgefunden, dass sich die Fische an diese extremen Bedingungen angepasst haben. So haben die Bachforellen zum Beispiel gelernt, kleine Muscheln aus dem Boden heraus zu picken. Sogar aussergewöhnlich gross werden Fische auf Macun. Sie wachsen zwar weniger schnell, da ihr Metabolismus sich verlangsamt, werden dadurch aber älter und grösser als ihre Artgenossen in tieferen Lagen. Die drei Fischarten pflanzen sich auf Macun fort, wenn auch nicht alle Fische jedes Jahr. Ungeklärt sind nach wie vor der Einfluss der Fischpopulationen auf andere Seeorganismen und die Frage, ob es sinnvoll wäre, die Fische wieder aus dem alpinen Ökosystem zu entfernen. Der Bedarf für weitere Forschung ist also vorhanden.

Abb. 4: Die Elritzen auf Macun haben sich an die alpinen Bedingungen angepasst (© John Hesselschwerdt/Hydra AG).
Auf viele weitere Jahre
Zum Abschluss des Abends nahmen Robert Giacometti und seine Partnerin Silvia das Publikum mit in die mystische Welt Macuns. Mit Humor und schauspielerischem Talent liessen sie die Drachenfamilie, die laut der Sage im Lai dal Dragun wohnt, lebendig werden. Sie übermittelten die Botschaft: Die Fabelwesen sind froh, weiterhin ihre Ruhe zu haben. Der Nationalparkvertrag sichert ihnen zum Glück weitere 75 Jahre Schutz zu. An der Buchvernissage wurde klar: Genauso wichtig ist, dass die Forschung auf Macun langfristig weitergeht. Nur so können wir verstehen, wie sich der Klimawandel auf unsere alpinen Ökosysteme auswirkt.
Weiterführende Informationen
- Das Buch «Alpine Ökosysteme im Schweizerischen Nationalpark – Die Seenplatte Macun» ist im Hauptverlag erhältlich
- Hoch oben und doch im Fokus der Wissenschaft – die Seenplatte Macun
- Seit über 100 Jahren erforscht: die Blockgletscher im Schweizerischen Nationalpark