Vor 200 Millionen Jahren lebten im damaligen Tethys-Ozean neben anderen Meerestieren auch Krebse. Ein für den Alpenraum einmaliges Fossil auf einer Kalkplatte aus der Val Trupchun im Schweizerischen Nationalpark konnte jetzt als neue Art eines Tiefseekrebses identifiziert werden: Angusteryon oberlii.
Angusteryon oberlii ist der wissenschaftliche Name eines neuen, 12 cm langen fossilen Krebses aus 200 Millionen Jahre alten Meeresablagerungen (Unterer Jura) der Bündner Alpen im Schweizerischen Nationalpark. Das bereits 1979 vom Koautor Heinz Furrer (Universität Zürich) auf 2500 m Höhe in einer Schutthalde der oberen Val Trupchun im Schweizerischen Nationalpark (Gemeinde S-chanf, Graubünden) gefundene Fossil wurde erst kürzlich vom französischen Crustaceen-Spezialisten Denis Audo (Paris) detailliert untersucht. In einer soeben erschienenen Fachpublikation der beiden Autoren wird der für den Alpenraum einmalige Fund als neue Gattung und Art Angusteryon* oberlii** beschrieben und zu den Polychelida, einer Unterordnung der zehnfüssigen Krebse (Decapoda) gestellt.
Polychelide Krebse sind von der Oberen Trias bis heute bekannt. Allerdings waren sie in der Oberen Trias und im Jura morphologisch viel diverser als ihre heutigen Vertreter. Diese jagen ihre Beute meist am Ozeanboden in 500 – 1500 m Tiefe und sind blind. Da Angusteryon oberlii in Beckensedimenten des Unteren Jura gefunden wurde, lebte er vor 200 Millionen Jahren im einige hundert Meter tiefen Wasser des damaligen Tethys-Meeres, was die kleinen Augeneinschnitte erklären würde. Möglicherweise hatte der fossile Krebs ein eingeschränktes Sehvermögen oder war sogar blind. Die neu beschriebene Gattung und Art zeigt, dass die polycheliden Krebse im Jura eine noch grössere morphologische Diversität hatten als bisher bekannt.
* Der Gattungsname «Angusteryon» leitet sich von «angustus = schmal» und dem erstbeschriebenen fossilen polycheliden Krebs «Eryon Desmarest, 1817″ ab.
** Der Artname «oberlii» ist eine Würdigung der fast 50jährigen Arbeit von Urs Oberli (St. Gallen) für die Paläontologie; er hat 1980 auch dieses Fossil optimal präpariert.
Das Originalfossil ist ab 1. Juli 2020 als «Objekt des Monats» im Bündner Naturmuseum Chur ausgestellt.
Publikation:
Audo, D. and Furrer, H. (2020): A new polychelidan lobster from the Alpine Lower Jurassic of southeastern Switzerland. Neues Jahrbuch für Geologie und Paläontologie, Abhandlungen 296/1, 29–40.
http://www.schweizerbart.de//papers/njgpa/detail/296/93739/
Abb. 1
Angusteryon oberlii aus dem Unteren Jura der Val Trupchun, Schweizerischer Nationalpark, S-chanf, Graubünden. Der 200 Millionen Jahre alte Krebs hatte einen 12 cm langen schmalen Panzer, zwei zangenartige Scheren und vier lange Antennen.
Foto Universität Zürich / R. Roth
Abb. 2
Polycheles typhlops, ein heutiger verwandter polychelider Krebs aus der Meeresstrasse von Mozambik, 460 m Tiefe. Länge 10 cm.
Foto Tin-Yam Chan, MNHN Paris