Ein Beitrag von Andrea Millhäusler & Hans Lozza
Schweizerischer Nationalpark

10. Februar 2020

Der Prozessschutz im Schweizerischen Nationalpark (SNP) führt dazu, dass sich die Lebensräume auf natürliche Art immer wieder grundlegend verändern können. Kurzfristig können Ereignisse wie Lawinen oder Murgänge Pionierarten begünstigen und damit regional die Biodiversität erhöhen. Langfristig werden sich wahrscheinlich aber auch in diesen Lebensräumen konkurrenzstarke Generalisten durchsetzen – zumindest so lange, bis das nächste Ereignis geschieht.

Titelbild:
Der Murgang in der Val da Stabelchod (Ofenpass) im August 2018 hat so viel Material in die Ova dal Fuorn getragen, dass dort kurzzeitig ein neuer See entstand. Mittlerweile ist dieser wieder verlandet. 

Der Prozessschutz im SNP führt dazu, dass sich Lebensräume auf natürliche Art grundlegend verändern können. So entstehen nach einem Lawinenereignis oder nach einem Murgang auf einen Schlag neue Lebensräume. Kurzfristig kann dies Pionierarten oder andere, auf karge Lebensräume spezialisierte Arten, begünstigen und damit regional die Biodiversität erhöhen. Dies wird beispielsweise bei neu entstandenen Seen (z.B. Gletscherseen) bereits beobachtet.
Im SNP sind es vorallem Bäche, Murgänge und Lawinen, welche immer wieder neue Lebensräume schaffen. Nach jedem stärkeren Niederschlag sehen die Bachbetten im SNP wieder etwas anders aus, nicht selten hat dies auch Auswirkungen auf Brücken und Wege im Park. In der Ova dal Fuorn entstand nach einem grossen Murgang im August 2018 kurzzeitig ein See, und auch in der Val Cluozza oder Val Mingèr sind die Wasserläufe besonders dynamisch, was ständig wechselnde Lebensräume bedingt. Ein weiteres Beispiel ist die Waldbrandfläche Il Fuorn, wo 1951 bei Räumungsarbeiten nach einem Lawinenereignis ein Brand ausgelöst wurde. Hier haben sich in der Folge verschiedene Pionierpflanzen (z.B. Schaf-Schwingel Festuca ovina oder Alpen-Leinkraut Linaria alpina angesiedelt. Im Vergleich zum umliegenden Wald, der von Berg-Föhren Pinus mugo dominiert ist, bietet die Brandfläche Raum für neue Arten und Artgemeinschaften und langfristig gesehen auch gute Wachstumsbedingungen für die Lärche Larix decidua und die Arve Pinus cembra.
Dasselbe gilt für die Waldbereiche, in denen die beiden Pilze Wurzelschwamm Heterobasidium annosum und Hallimasch Armillaria ssp. vorkommen. Beide können lebende Bäume zum Absterben bringen und zu kreisrunden Bestandslücken im Wald führen. In diesen Lücken entsteht oft eine grosse Vielfalt an Gefässpflanzen, die kurzfristig von dieser Verjüngung des Waldes profitieren. Auch in solchen neu entstandenen Lebensräumen ist es allerdings wahrscheinlich, dass sich über die Jahre konkurrenzstarke Generalisten durchsetzen werden – zumindest so lange, bis das nächste Ereignis stattfindet …
→ Mehr zu natürlichen Prozessen im SNP

Literatur:

  • Alther, R., C. Thompson, B. Lods‐Crozet & C.T. Robinson (2019): Macroinvertebrate diversity and rarity in non-glacial Alpine streams. Aquatic Sciences: 81:42 → Online Publikation
  • Scheurer, T. & J. Hartmann (2013): Waldbrandfläche Il Fuorn. Gräser ersetzen Bergföhren. In: Haller, H., A. Eisenhut & R. Haller (Hrsg.): Atlas des Schweizerischen Nationalparks. Die ersten 100 Jahre. Nat.park-Forsch. Schweiz 99/1. Bern: Haupt Verlag: 198
  • Baur, B. & T. Scheurer (Red.) (2014): Wissen schaffen. 100 Jahre Forschung im Schweizerischen Nationalpark. Nationalpark-Forschung in der Schweiz 100/I. Haupt Verlag Bern. Kapitel Schütz, M. & A.C. Risch (2014): Von der Vieh- zur Hirschweide, Stabile Hochrasen. 156-161 → Buch kaufen
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