Ein Beitrag von Pia Anderwald
Schweizerischer Nationalpark
24. April 2024

Gebirgsbewohner wie Alpengämsen scheinen den Wetterkapriolen in hohen Lagen ausgeliefert. Wir haben untersucht, welche Lebensräume die Tiere im Schweizerischen Nationalpark (SNP) je nach Wetter bevorzugen. Die Resultate lassen darauf schliessen, dass Gämsen im Zuge des Klimawandels wohl nicht einfach in höhere Lagen ziehen werden, sondern dass der Wald als kritischer Lebensraum an Bedeutung gewinnen dürfte.   

Titelbild: Gamsbock im Sommer im Nationalpark

Gebirgshuftiere sind gut an strenge Winter angepasst. Auf hohe Temperaturen im Sommer reagieren sie hingegen empfindlich: Steinböcke verlagern ihre Aktivität dann z.B. vermehrt in die Nacht, und Böcke halten sich tagsüber eher an Graten auf, wo ein frischer Wind weht. Mit Fortschreiten des Klimawandels werden extreme Wetterereignisse voraussichtlich häufiger. Dies beinhaltet höhere Temperaturen und stärkere Niederschläge im Sommer sowie weniger Schnee im Winter. Informationen darüber, wie Wildtiere bereits jetzt auf unterschiedliche Wetterbedingungen reagieren, helfen uns einzuschätzen, welche Effekte der Klimawandel auf sie haben wird und welche Lebensräume dann besonders wichtig werden.

Besenderte Gämse im Winterfell stapft durch den Schnee

Abb.1: Besenderte Gämse im Winterfell

Der SNP stattet jedes Jahr einige Gämsen mit GPS-Halsbändern aus, um zu untersuchen, welche Lebensräume die Tiere wann bevorzugen. Basierend auf den GPS-Positionen von 55 Gämsen beiderlei Geschlechts im Sommer und 42 im Winter haben wir ermittelt, wo sich die Tiere bei unterschiedlichen Wetterbedingungen aufhalten. Dazu haben wir jene Positionen, wo die Gämsen tatsächlich waren, feinräumig mit solchen verglichen, wo sie aufgrund ihrer Bewegungsmuster auch noch hätten sein können aber nicht waren.

Lebensraumwahl je nach Wetter
Sowohl im Sommer wie auch im Winter reagierten Gämsen auf zunehmenden Niederschlag und hohe Windgeschwindigkeiten, indem sie sich in tiefere Lagen zurückzogen. Entgegen den Erwartungen suchten sie bei hohen Sommertemperaturen jedoch vor allem Schutz im Wald und an nordexponierten Hängen. Die Höhe spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Im Winter bevorzugten sie dagegen südexponierte Hänge, unabhängig von der Lufttemperatur.

Gamsgeiss mit Gamskitzen im Sommerfell in gebirgiger Landschaft

Abb.2: Gamsgeiss mit Kitzen im Sommerfell in gebirgiger Landschaft

Sicherheit
Ein interessanter Aspekt war, dass die Tiere unter schlechten Sichtverhältnissen – also bei Nacht, bei Schneefall im Winter, sowie im Wald – steile Hänge bevorzugten. Als begnadete Kletterer wissen Gämsen offenbar, dass sie in steilem Gelände fast jedem potenziellen Raubtier haushoch überlegen sind und nutzen diesen Vorteil daher besonders gerne dann, wenn sie eine herannahende Gefahr optisch evtl. nicht rechtzeitig erkennen können.

Flexibilität und Bedeutung des Waldes
Sowohl im Sommer wie im Winter wägen Gämsen also gut ab, wo ihre besten Aufenthaltsgebiete für einen effizienten Wärmehaushalt, sowie Schutz vor Wetterextremen und vor allem Prädationsrisiko liegen. Dass im Sommer der Wald als Rückzugsgebiet vor hohen Temperaturen eine so wichtige Rolle spielt, deutet darauf hin, dass Gämsen mit Fortschreiten des Klimawandels wohl zunehmend auf diesen Lebensraum angewiesen sein werden. Schutzbemühungen für diese Art sollten daher wo angebracht auch Ruhegebiete im Bergwald während des Sommers in Betracht ziehen, wo die Tiere ungestört die heissesten Stunden des Tages verbringen können.

Literatur:

 

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