Im Jahr 2016 gelangten bei Wartungsarbeiten an der Staumauer Punt dal Gall PCB-haltige Partikel in den Restwasserfluss Spöl im Schweizerischen Nationalpark. Aktuelle Analysen einer Pilotstudie an Wasseramsel-Eiern zeigen PCB-Konzentrationen, welche die relevanten Grenzwerte stark übersteigen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit der geplanten Sanierung des Spöls und einer fortlaufenden Überwachung der Schadstoffbelastung im Fluss und seiner Tierwelt.
Im September 2016 gelangten bei Revisionsarbeiten an der Staumauer Punt dal Gall Partikel eines Korrosionsschutzanstriches, der sogenanntes polychloriertes Biphenyl (PCB) enthielt, in den Spöl. Der Fluss fliesst durch den Schweizerischen Nationalpark. PCB gehören zu den persistenten organischen Schadstoffen. PCB sind giftig, langlebig und reichern sich in der Nahrungskette an. Die Verwendung von PCB ist in der Schweiz seit 1972 in «offenen Systemen» und seit 1986 komplett verboten (siehe auch BAFU; BAG).
Vier Jahre nach dem PCB-Vorfall am Spöl wies ein Zufallsfund eines toten Uhu-Weibchens eine extrem hohe PCB-Belastung von über 550 Milligramm eines Indikator-PCB (kurz: iPCB) pro Kilogramm Körperfett auf. Dies ist ein Hinweis darauf, dass sich das PCB im Nahrungsnetz der Tiere, die im und um den Spöl leben, angereichert und ausgebreitet hat.
Anreicherung von PCB in Tieren
Die Aufnahme von PCB durch Gewässerorganismen (z. B. Wasserwirbellose, Spinnen, etc.) und dessen Ausbreitung im Nahrungsnetz ist aus der wissenschaftlichen Literatur bekannt (Froese et al., 2009; Archer et al., 2017; Otter et al., 2024). Insbesondere in Wasseramseln, ans Wasser gebundene Singvögel, die am Wasser brüten und sich ausschliesslich von in Gewässern lebenden Insekten und deren Larven ernähren, wurde die Bioakkumulation von PCB mehrfach nachgewiesen. Studien in Deutschland, Schottland und Irland haben gezeigt, dass Eier von Wasseramseln, die entlang von verschmutzten Gewässern leben, hohe PCB-Konzentrationen aufweisen können (Tyler & Ormerod, 1994). Ob diese PCB-Konzentrationen schädliche Auswirkungen auf Wasseramseln haben, ist unklar (Ormerod et al., 2000), bei anderen Vogelarten wurden Auswirkungen auf das Fortpflanzungsverhalten aber nachgewiesen (DeLeon et al. 2013; 2020). Aufgrund des bereits bestehenden Wissens über PCB-Belastungen in anderen Ländern eignen sich Wasseramseln besonders gut zum Nachweis der Bioakkumulation von PCB (Tyler & Ormerod, 1994, Ormerod et al., 2000).
Starke PCB-Belastung von Wasseramsel-Eiern entlang des Spöl
Auch im Schweizerischen Nationalpark sind Wasseramseln entlang von Fliessgewässern häufig anzutreffen, so auch am oberen Spöl. Es ist daher naheliegend, dass die Wasseramseln als Teil des Nahrungsnetzes dem PCB im Spöl ausgesetzt sein könnten.
Im Rahmen einer Pilotstudie im Sommer 2024 am Spöl wurde untersucht, in welchem Umfang sich PCB in verschiedenen Organismengruppen angereichert hat. Dieses Pilotprojekt verfolgte zwei Hauptziele: Zum einen sollte die Methodik für die systematische Erhebung von PCB-Belastungswerten im Nahrungsnetz des Spöl getestet werden; zum anderen sollten erste PCB-Konzentrationswerte in bestimmten Arten wie der Wasseramsel erhoben werden. Die Forschungskommission des Schweizerischen Nationalparks (FOK-SNP) initiierte dieses Projekt als Vorbereitung auf die geplante Sanierung des oberen Spöls, in welcher ab 2026 PCB-belastete Sedimente entfernt werden (weitere Informationen zur Sanierung).
Erste Ergebnisse der Pilotstudie zeigen, dass die fünf Eier, die aus drei Nestern von Wasseramseln zwischen Punt dal Gall und Punt Periv am oberen Spöl entnommen wurden, eine sehr hohe PCB-Belastung aufweisen. Die iPCB-Konzentrationen reichen von 4.5 bis 32 mg/kg Fett. Zum Vergleich: damit überschreiten die Eier der Wasseramseln am Spöl die in Lebensmitteln (Hühnereier) erlaubten iPCB-Höchstkonzentrationen um das 110- bis 800-fache.
Zusätzlich wurden auch stark erhöhte Konzentrationen von dioxin-ähnlichen PCB detektiert. Das daraus berechnete Toxizitätsäquivalent (kurz: TEQ) überschreitet bei zweien der Wasseramsel-Eier die im Handel erlaubten Konzentrationen um das 65- bis 125-fache, die anderen drei Eier lagen 3- bis 7-mal über den zugelassenen Grenzwerten.
Weiterführende Untersuchungen
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die geplante Sanierung aus ökologischer Sicht gerechtfertigt ist, um das Gewässersystem im Schweizerischen Nationalpark, die am strengsten geschützte Wildnislandschaft der Schweiz, zu rehabilitieren. Andererseits verdeutlichen sie die Notwendigkeit einer intensiven Begleitung und Erfolgskontrolle der Sanierungsmassnahmen nach ökologischen Gesichtspunkten. Daher wird ab 2025 im Anschluss an die Pilotphase ein Projekt durchgeführt, das die Anreicherung von PCB in unverschmutzten respektive weniger verschmutzten Gewässern mit jenen im oberen Spöl vergleicht. Ziel dieser Untersuchung ist es, die räumlichen Unterschiede der PCB-Belastung in Schlüsselarten wie der Wasseramsel in unterschiedlich stark belasteten Gewässern zu erfassen. Diese Untersuchungen bieten dann auch die Grundlage, um die Erholungsrate der betroffenen Organismen nach der PCB-Sanierung des Spöl-Flusses zu dokumentieren und daraus Erkenntnisse für die Belastung und Sanierung anderer Gewässersysteme zu gewinnen.
Literatur
Archer, M. C., Harwood, A. D., Nutile, S. A., Hartz, K. E. H., Mills, M. A., Garvey, J. E. and M. J. Lydy (2018): The Value of Using Multiple Metrics to Evaluate PCB Exposure, Arch Environ Contam Toxicol, 74(3): 361-371, doi:10.1007/s00244-017-0418-5.
De Leon, S., Halitschke, R., Hames, R.S., Kessler, A., DeVoogd T.J. and A.A. Dhondt (2013): The effect of Polychlorinated Biphenyls on the song of two passerine species, PLoS One 8: e73471, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0073471.
De Leon, S., Webster, M. S., DeVoogd, T. J. and A. A. Dhondt (2020): Developmental polychlorinated biphenyl exposure influences adult zebra finch reproductive behaviour, PLoS One, 15: e0230283, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0230283.
Froese, K. L., Verbrugge, D. A., Ankley, G. T., Niemi, G. J., Larsen, C. P. and J. P. Giesy (1998): Bioaccumulation of polychlorinated biphenyls from sediments to aquatic insects and tree swallow eggs and nestlings in Saginaw Bay, Michigan, USA. Environ. Toxicol. Chem. 17, 484–492,
https://doi.org/10.1002/etc.5620170320.
Ormerod, S. J., Tyler, S. J. and I. Jüttner (2000): Effects of point-source PCB contamination on breeding performance and post-fledging survival in the dipper Cinclus cinclus. Environmental Pollution, 110: 505-513, https://doi.org/10.1016/S0269-7491(99)00313-9.
Otter, R. R., Mills, M. A., Fritz, K. M., Lazorchak, J. M., White, D. P., Beaubien, G. B. and D. M. Walters (2024): PCB concentrations in riparian spiders (Tetragnathidae) consistently reflect concentrations in water and aquatic macroinvertebrates, but not sediment: Analysis of a seven-year field study. Sci. Total Environ. 912, 169230, https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2023.169230.
Tyler, S. J. and S. J. Ormerod (1994): The Dippers. T. & A.D. Poyser, London.