Medienmitteilung des Schweizerischen Nationalparks vom 2. Dezember 2009
Zernez – Am 1. Dezember 1909, vor genau 100 Jahren, haben die Gemeinde Zernez und die Schweizerische Naturschutz-Kommission den ersten Pachtvertrag fu?r die Val Cluozza unterzeichnet. U?ber 100 Personen fanden sich am Dienstagabend im Auditorium Schlossstall ein, um mehr u?ber die Begleitumsta?nde der Geburtsstunde des Nationalparks zu erfahren.
Wie kam es dazu, dass Zernez zu Beginn des 20. Jahrhunderts als erste Gemeinde Europas Parkverhandlungen fu?hrte? Domenic Toutsch, Zernezer Gemeindepra?sident, zeigte sich u?berzeugt, dass die damaligen Pioniere die Gunst der Stunde richtig einscha?tzten und einen nachhaltigen Beitrag zum Schutz dieser einzigartigen Landschaft leisten wollten. Doch auch wirtschaftlich ha?tte sich dieser Mut ausgezahlt: Der Schweizerische Nationalpark (SNP) sei zum wichtigsten Angebot im touristischen Bereich geworden. Die Gemeinde za?hlte damals 596 Einwohner, heute sind es doppelt so viele. Trotzdem, auch in der Geschichte zwischen Zernez und dem Nationalpark gab es Ru?ckschla?ge. Er erinnerte an die gescheiterte Abstimmung zur Parkerweiterung im Jahr 2000. Doch kurz darauf haben sich die beiden Partner wieder verso?hnt: Mit dem Bau des neuen Nationalparkzentrums gelang ein wichtiges gemeinsames Projekt, das die Bande wieder gesta?rkt habe.
Zernez als europa?ische Pioniergemeinde
Robert Giacometti, 11. Pra?sident der Eidgeno?ssischen Nationalpark-Kommission und erster Einheimischer in diesem Amt, wu?rdigte Zernez als eigentliche Pioniergemeinde. Ohne die Partnerschaft mit den Gemeinden ga?be es keinen Nationalpark. Doch Pioniere brauche es auch heute. Menschen, die ihrer Zeit voraus sind. Pioniergeist hat die Gemeinde Zernez gema?ss Giacometti nicht nur bei der Parkgru?ndung bewiesen, sondern auch bei der U?bergabe der Schlossliegenschaft an den Nationalpark und der damit ermo?glichten Realisierung des neuen Nationalparkzentrums.
Landeigentu?merin ist die Bu?rgergemeinde. Deren Pra?sident, Max Filli, setzte sich mit der Frage auseinander, wie es damals zu einem solch pionierhaften Entscheid kommen konnte. Bereits im Dezember 1908 richtete die Naturschutz-Kommission die Anfrage an die Gemeinde, ob sie bereit wa?re, die Val Cluozza als Totalreservat zu verpachten. Der Gemeinderat stimmte mit 6 zu 3 Stimmen fu?r eine Weiterverfolgung des Projekts. Am 25. Oktober 1909 schliesslich segnete die Gemeindeversammlung mit Auflagen die Schaffung des Totalreservats ab. Dies unter folgenden Bedingungen: Der Pachtzins mu?sse auf 1500 Franken pro Jahr erho?ht werden, allfa?llige Schadba?ren seien zu erlegen und ein guter Fussweg in die Val Cluozza zu erstellen. Ob die wirtschaftlichen Aussichten oder die schmeichelhafte Rolle als Pioniergemeinde die ausschlaggebenden Faktoren waren, liess Filli dahingestellt.
Offizielles Jubila?um «100 Jahre SNP» im 2014
Der Hauptreferent des Abends, Dr. Patrick Kupper, Historiker an der ETH Zu?rich, untersucht seit mehreren Jahren die Geschichte des ersten Nationalparks der Alpen. Der von Dr. Paul Sarasin, dem Pra?sidenten der Naturschutz-Kommission und von Rudolf Bezzola, Gemeindepra?sident von Zernez, unterzeichnete Vertrag sei sehr geschickt und in weiser Voraussicht abgefasst worden. So war bereits die Mo?glichkeit der U?bernahme des Vertrags durch die Eidgenossenschaft erwa?hnt, was 5 Jahre spa?ter auch geschah. Aus diesem Grund gilt der 1. August 1914 als Gru?ndungsdatum des SNP. Entsprechend wird 2014 zum eigentlichen Jubila?umsjahr mit zahlreichen Attraktionen werden.
Kupper ging in seinem Vortrag auf weitere Eigenarten des Vertrags ein. Zwei Tierarten wurden im Vertrag genannt: Ba?ren und Steinbo?cke. Fu?r durch Ba?ren verursachte Scha?den sollte die Kommission haftbar gemacht werden. Auch sollte sie fu?r den Schutz der spa?ter allenfalls angesiedelten Steinbo?cke sorgen. Die schliesslich vereinbarten 1400 Franken Pachtzins bedeuteten im Vergleich zu den fru?her durch Verpachtung der Weidefla?chen erzielten Ertra?ge mindestens eine Verdoppelung.
Plo?tzlich ging alles sehr rasch
Die Schweizerische Naturschutz-Kommission wurde 1906 gegru?ndet. Die Gruppierung hatte sich unter anderem zum Ziel gesetzt, in der Schweiz ein Grossschutzgebiet zu schaffen. Einer der Initianten war Prof. Carl Schro?ter (1855-1939). Er lehrte an der ETH Zu?rich und lieba?ugelte mit der Val S-charl und dem God da Tamangur. Bereits 1902 besuche er mit dem Eidgeno?ssischen Forstinspektor Johann Coaz das Gebiet in S-charl. 1906 wurde die Idee offiziell lanciert. Paul Sarasin, Pra?sident der Kommission, reiste 1908 nach S-charl und schaute sich das Gebiet vor Ort an. Unterwegs traf er den einheimischen Wissenschafter Steivan Brunies. Dieser machte Sarasin auf die Val Cluozza aufmerksam und sprach in seinem Gutachten der Val Cluozza besondere Qualita?ten zu: «Wildnis (…) wie aufgespart geblieben fu?r eine Reservation».
In Zernez waren Rudolf R. Bezzola, Gemeindepra?sident und Curdin Grass, Gemeinderat und ein Freund von Steivan Brunies, Promotoren der Nationalparkidee. Zernez hatte zu jener Zeit wirtschaftliche Probleme, weil die beiden Haupterwerbszweige, die Land- und Forstwirtschaft, unter Druck kamen. Der Holzpreis brach ein, die Maul- und Klauenseuche verhinderte die Beweidung durch italienische Schafherden und der touristische Boom liess in Zernez auf sich warten.
Keine Liebe auf den ersten Blick
Nach der Vertragsunterzeichnung folgten in Zernez bis 1913 5 weitere Gemeindeabstimmungen, die immer zugunsten des Nationalparks ausgingen. Zernez gelang es damals, einen attraktiven Pachtzins auszuhandeln und 1910 auch die Val Tantermozza an die Kommission zu verpachten. Von Beginn weg war die Partnerschaft zwischen Nationalpark und der Gemeinde nicht sehr eng. Dies a?usserte sich spa?ter immer wieder durch Missversta?ndnisse und Probleme. Einheimische und «fremde Naturschu?tzer» hatten das Heu nicht immer auf derselben Bu?hne. Erst in der zweiten Ha?lfte des 20. Jahrhunderts wurde der Nationalpark zu einem wichtigen touristischen Ausha?ngeschild und damit zum Markenzeichen der Gemeinde Zernez, dem «Tor zum Nationalpark».
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Schweizerischer Nationalpark Hans Lozza, Leiter Kommunikation lozza@nationalpark.ch Tel. 081 851 41 11
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